PANAH
Ein alter Walkman und eine leiernde Kassette: „Thriller“ von Michael Jackson. Eine Händlerin hatte sie Panah geschenkt, dem kleinen Mädchen, das da mit seiner Familie direkt vor ihrem Geschäft übernachtet hatte. Auf der Straße. Irgendwo im Grenzland zwischen dem Irak und der Türkei.
„Ich habe die Songs rauf und runter gespielt und versucht mitzusingen. Das hat mich und die anderen von dem Wahnsinn um uns herum abgelenkt“, sagt Panah heute. Damals entstand auch ihr Wunsch, irgendwann ganz, ganz sicher Sängerin zu werden. Der Thriller, das war bislang ihr Leben als kurdisches Flüchtlingskind. Und Michael Jackson – der wurde zu ihrer inneren Stimme.
1991 kam Panah, eigentlich Panah Ahmed und heute 37, mit ihrer Familie nach Österreich. Seit ihrem dritten Lebensjahr ist sie als Folge eines Ärztefehlers auf den Rollstuhl angewiesen. Mit zwölf hatte sie ihren ersten Auftritt, in einem Einkaufszentrum in Linz. „Es war eine Art Mini-Playbackshow, und ich habe lauter gesungen als das Playback“, sagt Panah. Ein Manager, zufällig vor Ort, war begeistert – und verpflichtete sie für eine große Show bei den Paralympics in Australien.
Lebenslust als größte Zugabe
„Ein paar Monate später habe ich dort zur Eröffnung den Song ‚Together We Are Strong‘ gesungen, den ich selbst geschrieben hatte, und mir mit Stars wie Bon Jovi und Kylie Minogue die Bühne geteilt.“ Musikalisch ging damit ein erster großer Traum in Erfüllung. Und Teil eins ihres Versprechens, das sie, damals im Straßenstaub, Michael Jackson und vor allem sich selbst gegeben hatte. Doch da kam noch eine Zugabe: „In Australien habe ich zum ersten Mal gesehen, dass behinderte Menschen genauso viel bewegen können wie gesunde. Das Leben will gelebt werden – von allen. Und zwar in vollen Zügen.“
Vier Jahre später, mit 16, nahm Panah wieder an einem Gesangs-Contest teil. Der Hauptpreis, den sie errang: ein eigener Gig im Vorprogramm des einzigen Österreich-Konzerts von 50 Cent. „Was für ein Gefühl, vor demselben Publikum zu singen wie einer der erfolgreichsten Rapper der Welt!“ Dennoch ging’s mit der eigenen Karriere fortan eher schleppend voran. Immerhin verdiente Panah etwas Geld mit dem Vermitteln von Beats an internationale Stars wie Jason Derulo und Nicki Minaj, zudem jobbte sie als Produzentin für deutsche Acts. Das große Ziel eines eigenen Plattenvertrags, Teil zwei ihres kindlichen Kontrakts mit sich selbst, schien aber unerreichbar.
Inspiration durch Stärke
Immer wieder versuchte die Wahlwienerin, sich in der Musikbranche zu etablieren. Immer wieder Absagen, immer wieder das Gefühl, nicht gut genug zu sein. „Eine Frau im Rollstuhl mit Migrationshintergrund – herausfordernder hätte ich’s mir nicht aussuchen können“, sagt sie. Und erzählt davon, was sie trotzdem bestärkte: „Es ist nicht nur die Musik. Es geht darum, Sichtbarkeit zu schaffen. In meiner Kindheit wurden Menschen im Rollstuhl in der Werbung nur dann gezeigt, wenn’s um Krankheitsthemen ging, immer mit viel Mitleid. Dass man sie als starke, inspirierende Persönlichkeiten porträtierte, habe ich nie erlebt – aber genau das möchte ich sein. Es ist ein aktivistischer Weg, von dem ich mich jetzt nicht mehr abbringen lasse.“
Insgesamt 23 Jahre vergingen zwischen den „Thriller“-Nächten der kleinen Panah und der Unterschrift ihres Lebens. Unter einem Plattenvertrag mit Universal Music. „Da bin ich dann dagesessen und hab mir überlegt: Bin ich die volle Loserin, weil ich so lange dafür gebraucht habe? Oder bin ich stolz auf mich?“
So viel war passiert. So viele Momente, in denen sie an sich gezweifelt hatte und kurz vor dem Aufgeben gewesen war. „Aber ich habe immer weitergemacht, Probleme gesehen, mich aber auf die Lösungen konzentriert. Und endlich habe ich die Chance, Menschen mit ähnlichem Schicksal zu zeigen, was möglich ist. Niemand soll limitiert träumen müssen.“
Rock ’n’ Rollstuhl? Na klar!
Und Panah hat noch viel vor: „Ich will keine Randerscheinung in der Musikbranche sein. Nicht nur kurz aufpoppen und dann wieder verschwinden. Ich will die erste richtig erfolgreiche Mainstreamsängerin sein, die im Rollstuhl sitzt.“
Sie will in der Gesellschaft etwas verändern. „Wenn ich mich frage, warum gerade ich so viel durchmachen musste, bleibt mir als Antwort: um mich für andere stark zu machen, ihnen Mut zuzusprechen.“ Auch ihre erste Single, „Keine Tränen“, widmete sie einem wichtigen Thema – es geht um sexuelle Übergriffe. „Noch so ein Tabu, das aufgebrochen werden muss. Ich möchte Menschen, denen so etwas widerfährt, eine Stimme geben“, sagt Panah. Oder eigentlich weitergeben: die Stimme, die sie als kleines Mädchen fand. Auf der Flucht. Dank eines alten Walkmans und einer leiernden Kassette.
Quelle: Red Bull
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